Endlich: documenta-Chefin tritt zurück

Absicht? Bei der dreitägigen Review für Presse und Fachleute war das Banner mit den antisemitischen Bildern noch nicht zu sehen! © Edith Rabenstein

Vertrag mit Generaldirektorin Sabine Schormann aufgelöst

Heute ist es so endlich so weit. Mich erreichte ein Schreiben des documenta-Aufsichtsrats. Dieser trennt sich von documenta-Chefin Sabine Schormann (60).

Endlich! Und doch viel zu spät. Der Aufsichtsrat hätte sofort Konsequenzen ziehen müssen. Sabine Schormann auch, wenn sie der documenta keinen Schaden zufügen wollte.

Nach dem Eklat Ende Juni um das zunächst verhängte und nach drei Tagen abgebaute Großbanner „People’s Justice“ der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi auf dem zentralen Friedrichsplatz mit antisemitischen Motiven darauf.  Zudem war das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa bereits im Januar wegen Nähe zur Israel-Boykottbewegung BDS in die Kritik geraten war.

Foto von Sabine Schormann
Sabine Schormann. © Edith Rabenstein

Noch dazu hatte Schormann das Banner gar nicht abhängen, sondern nur die antisemitischen Teilaspekte verhängen wollen. Der Oberbürgermeister als Hausherr des Friedrichsplatzes hat dann das Banner von seinem Bautrupp abhängen lassen. Schormanns Umgang mit diesem Thema hat in großem Maß dazu beigetragen, dass der Weltruf der documenta von Tag zu Tag mehr Schaden nahm.

Der Aufsichtsrat wünscht sich, dass man in documenta in der Gesamtheit bewertet. Wenn man mehrere documenta-Ausstellungen gesehen hat, muss man sagen, diese ist – trotz einiger poetischen Aspekte – eine lapidare Schau. Rechnet man dann noch den Skandal dazu, bleibt von der Schau nicht viel übrig.

Außerdem: Ich denke, die Generaldirektorin war sich sehr wohl bewusst, was dieses Banner anrichten wird. Denn bei der dreitägigen Review für Presse und Museums-Fachleute am Mittwoch, Donnerstag und Freitag war dieses Werk noch nicht gehängt. Auf meine Nachfrage, was das bereits aufgebaute Gerüst zeigen wird, wussten die freundlichen aber uniformierten documenta-Guides auch keine Antwort. Wollte man erst mal gute Presse haben? Und dann sehen, was kommt . . .

Ob es wohl schon hing, als Steinmeier am Samstag da war? Die veröffentlichten Bilder zeigen ihn vor und im Fridericianum, aber nicht am weiter hinten gelegenen Friedrichsplatz. In seiner Rede, in der klar Stellung bezog („Als deutscher Bundespräsident halte ich für mein Land fest: Die Anerkennung Israels ist bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte!“, nahm er Bezug auf die Debatten im Vorfeld, nicht auf das Banner.

Den beschädigten Ruf der documenta kann der Rücktritt nicht mehr kitten, aber er ist ein wichtiges Signal – auch für künftige documenta-Chefs. Kunst ist eben nicht nur nach ästhetischen Kriterien zu beurteilen, sie hat stets auch etwas mit Gesellschaft und Politik zu tun.

 

 

Hier können Sie das Schreiben des Aufsichtsrats lesen.

Ich zitiere:

„Bei der Sitzung des Aufsichtsrats der documenta und Museum Fridericianum gGmbH am Freitag, 15. Juli 2022, sind vor dem Hintergrund der Antisemitismusvorwürfe gegen die documenta fifteen und mit Blick auf die Zukunft der documenta einstimmige Entscheidungen des Aufsichtsrats und der Gesellschafterversammlung getroffen worden. Dazu erklärten für beide Gremien Aufsichtsratsvorsitzender Oberbürgermeister Christian Geselle und die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn als stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende:

1. Der Aufsichtsrat, die Gesellschafter und Generaldirektorin Dr. Sabine Schormann verständigten sich einvernehmlich darauf, ihren Geschäftsführerdienstvertrag kurzfristig aufzulösen. Zunächst wird eine Interimsnachfolge angestrebt.

2. Der Aufsichtsrat äußert seine tiefe Betroffenheit, dass am Eröffnungswochenende der documenta fifteen eindeutig antisemitische Motive zu sehen waren. Die Präsentation des Banners „People‘s Justice“ des Künstlerkollektivs Taring Padi mit seiner antisemitischen Bildsprache war eine klare Grenzüberschreitung und der documenta wurde damit ein erheblicher Schaden zugefügt. Es ist nach Auffassung des Aufsichtsrates essenziell, diesen Vorfall zeitnah aufzuklären, Schlussfolgerungen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse für den Umgang mit antisemitischen Vorgängen im Kultur und Kunstkontext zu ziehen und weiteren Schaden für die documenta abzuwenden. Durch die Aufhängung des Banners und auch im Zuge der Krisenbewältigung in den vergangenen Wochen ist leider viel Vertrauen verloren gegangen. Der Aufsichtsrat betrachtet es als essenziell, dass alles darangesetzt wird, dieses Vertrauen zurückzugewinnen.

  1. Der Aufsichtsrat betrachtet es als wichtige gesellschaftliche Aufgabe, Antisemitismus und gruppenbezogene Formen von Menschenfeindlichkeit auch in Kunst und Kultur wirksam zu bekämpfen. Außerdem bekräftigt er seine Erwartungshaltung, dass Hinweisen auf mögliche antisemitische Bildsprache und Beförderung von israel-bezogenem Antisemitismus unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Kunstfreiheit nachgegangen werden soll. Der Aufsichtsrat empfiehlt der Gesellschafterversammlung eine fachwissenschaftliche Begleitung einzusetzen, die sich aus Wissenschaftler*innen zum Gegenwartsantisemitismus, deutschen sowie globalen Kontext und Postkolonialismus sowie der Kunst zusammensetzt. Sie sind zuständig für die erste Bestandaufnahme der Abläufe, Strukturen und Rezeptionen rund um die documenta fifteen, sollen Empfehlungen für die Aufarbeitung geben und erörtern, welche Aspekte einer vertieften (wissenschaftlichen) Analyse bedürfen. Außerdem würden sie bei der Analyse möglicher weiterer antisemitischer (Bild-) Sprache beraten. Eine Kooperation der fachwissenschaftlichen Begleitung mit der künstlerischen Leitung betrachtet der Aufsichtsrat als zielführend und soll im gemeinsamen Prozess gestaltet werden. Der Aufsichtsrat regt an, dass die Findungskommission, die eine Beratungsfunktion gegenüber der documenta fifteen innehat, in der fachwissenschaftlichen Begleitung mitwirkt. Die Gesellschafterversammlung hat dem entsprochen. 4. Der Aufsichtsrat empfiehlt der Gesellschafterversammlung, eine Organisationsuntersuchung der documenta und Museum Fridericianum gGmbH durchzuführen, die sowohl die Strukturen inklusive Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten als auch die Abläufe einer Überprüfung unterzieht. Dies im Benchmark mit anderen bedeutenden Kunstausstellungen und unter Hinzuziehung externer Expertinnen und Experten, um auf dieser Basis Vorschläge für die Weiterentwicklung der documenta und Museum Fridericianum gGmbH schnellstmöglich nach der documenta fifteen zu erarbeiten. Auch dies hat die Gesellschafterversammlung beschlossen. 5. Die Stadt Kassel und das Land Hessen eint das gemeinsame Ziel, die Verfehlungen beim Thema Antisemitismus und strukturellen Defizite aufzuarbeiten und alles daran zu setzen, der documenta auch in Zukunft ihren weltweit einzigartigen Rang als Ausstellung für zeitgenössische Kunst zu sichern. Der Aufsichtsrat wirbt dafür, die documenta fifteen, als erstmalige documenta kuratiert aus dem Blick des sogenannten „globalen Südens“ mit über 1.500 beteiligten Künstlerinnen und Künstlern, auch in ihrer Gesamtheit und Einzigartigkeit zu bewerten. Gerade weil die documenta alle fünf Jahre zu einem Dreh- und Angelpunkt von Künstlerinnen und Künstlern sowie Kulturinteressierten aus aller Welt wird und gerade weil sie immer ein Ort der Begegnung und des kritischen Diskurses war und ist, arbeitet der Aufsichtsrat gemeinsam mit allen Beteiligten daran, die documenta in Kassel zu schützen“