Wenn ihr Sohn seine Tochter heiratet

Gaspard (Reinhard Peer) erfährt von seiner Frau Clemence (Antonia Reidel), dass sein Sohn ein „Kuckuckskind“ ist. © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

„Ein Satz zu viel!“ am Landestheater Niederbayern

 

Gesellschaft wird entlarvt

Der tunesisch-französisch Autor Éric Assous (1956-2020) war Filmemacher, Drehbuch- und Theaterschriftsteller. Gnadenlos entlarvt er nicht nur die französische Gesellschaft. Seine bestechendste Eigenschaft ist es, die mangelnde Kommunikationsbereitschaft, die Verlogenheit und die Beziehungskrisen auf den Punkt zu bringen – und in punktgenauen Dialogen zu bündeln.

Der Einakter lief am Sonntag am Landestheater Niederbayern bei vollem Haus als Studioproduktion.

Veronika Wolff führt Regie

Regisseurin und Ausstatterin Veronika Wolff ließ die Szene in einem bürgerlichen Wohnzimmer mit realer und andeutete Bücherwand, Couch und Essecke spielen. Die schnell ablaufenden Szenen werden durch ein Chanson d‘ amour und Lichteffekte getrennt.

Veronika Wolff setzte sehr auf Tempo und schuf – so wie der Autor – vier Typen, die sich deutlich voneinander unterschieden. Dabei ließ sie den Spielmöglichkeiten und der Spielfreude der Schauspieler freien Lauf. Diese nutzten die Freiheit bestens. Vor allem Reinhard Peer lieferte als Gaspard ein kleines Meisterstück ab. Die erste Bombe platzt, als Sohn Lucas gesteht, dass seine Frau Manon mit ihrem Liebhaber in den Urlaub fährt . . . Köstlich, wie der Vater gleich Partei für den Sohn ergreift und sofort die Scheidung plant . . . Bis die zweite Bombe platzt. Ehefrau Clemence sagt einen Satz zu viel – und der ohnehin geladene Ehemann erfährt, dass der Sohn einen anderen biologischen Vater hat – einen Koch. Zwischen Kartoffeln und Dosen befand sich der „Tatort“. Da läuft der Schauspieler zu Hochform auf: hadert, jammert, schreit, schmollt und legt sich als eingebildeter Kranker auf die Couch. Herrlich ist sein Grimassenspiel. Keine Sekunde fällt er aus dieser furiosen und ziemlich anstrengenden Rolle. Er kommt einem wie das „HB-Männchen“ vor, das gleich in die Luft geht.

Die Ehefrau wird von Antonia Reidel gespielt. Clemence nimmt den Betrug der Schwiegertochter eher locker – und sieht schließlich und endlich die Stunde ihrer Rache gekommen. Denn sie hat seit Jahren Beweisstücke für die Untreue ihres Mannes gesammelt – und kann sie triumphierend präsentieren. Da ist der Ehemann geplättet, als die Ehefrau die Feminismus-Karte spielt. Wie du mir so ich dir! Sie ist die Abgeklärte, die die Affären längst abgehakt hat, und die Raffinierte, die ihr Wissen im geeigneten Moment ausspielt. Die Attitüde der Schauspielerin geht von Coolness, über Zorn bis zur Hysterie.

Lucas (Julian Niedermaier) verzeiht seiner Frau Manon (Tabea Günther). © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Julian Niedermeier mimt den großzügigen Ehemann eher aus Hilflosigkeit. Mit treuherzigem Blick hofft er, dass seine Frau von ihrem Liebhaber bald genug kommt. Das „Kuckuckskind“ verblüfft seine Eltern mit der Ansage, dass er seinen biologischen Vater längst kennt. Mit Manons Herkunft bekommt das Stück schließlich einen absurden Dreh. Tabea Günther gibt ihrer Manon zu wenig komödiantisches Profil.

Dramaturgisch eine köstliche Rolle spielt Baby Roberto, das zu den Großeltern ins Ferienlager geschickt wird. Es ist via Babyphon anwesend – und kommentiert mit seinem Quäken die Streitereien der Erwachsenen. . . Witzig!

Das Stück lebt vom Tempo und von genauer Artikulation. Letztere fiel leider manchmal der Schnelligkeit zum Opfer. Insgesamt eine unterhaltsame amüsante Vorstellung, die das Publikum mit großem Applaus quittierte.

Ein Lob der Studiobühne

Wieder einmal zeigt sich, dass die Einrichtung der Studiobühne wertvoll ist, präsentiert sie doch ohne großen Aufwand Stücke und Autoren, die sich nicht unbedingt an ein großes Publikum wenden. So manches literarische oder schauspielerische Glanzlicht war da schon zu erleben!